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Post-Natale Treiberei

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Dass Steuerungen für Spielekonsolen auch mit dem Linux-PC genutzt werden können und auch genutzt werden, ist keine neue Erkenntnis. Neu ist allerdings ein Konzept aus dem Hause Microsoft, das ohne Controller im eigentlichen Sinne funktioniert und damit sofort die Fantasie von Open-Source-Entwicklern beflügelt.

Von Anfang an: Auf der letztjährigen Spielemesse E3 🇬🇧 kündigte Microsoft ein neues Eingabegerät für seine Spielekonsole Xbox an, das ohne Joystick oder sonstige in der Hand gehaltene Controller sondern alleine über die per Kamera erkannten Bewegung der spielenden Personen Spiele steuern sollte. Der Name damals: Projekt Natal

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Kinect (James Pfaff unter CC-BY 2.0)

Vom technischen Standpunkt her handelt es sich bei Kinect für XBox 360, wie der offizielle Name der Spielesteuerung lautet, um ein Gerät, in dem eine Farbkamera, eine Kamera zur Distanzbestimmung (Tiefensensor) und mehrere Mikrofone zum Einsatz kommen. Dazu kommt ein kleiner Motor, mit dem das ganze Gehäuse automatisch geneigt werden kann. Wie von Microsoft gewohnt, setzt Kinect auf proprietäre Treiber und Programme.

Neue Bedienkonzepte rufen bald interessierte Entwickler auf den Plan, wie dies auch bei dem schon länger verfügbaren Kinect-Konkurrenten Wii aus dem Hause Nintendo der Fall war. Hier mündeten die Bemühungen in dem Wiimote-Projekt, das die Steuerung des Linux-Desktops mit dem Spielecontroller ermöglicht. Um diesen Entwicklungsprozess zu beschleunigen schrieb Adafruit 🇬🇧 , ein auf den Vertrieb von Elektronik-Bausätzen spezialisiertes Unternehmen, eine Prämie von 1000 US-Dollar 🇬🇧 für den Ersten aus, der die Daten von Kinects Tiefensensor auslesen kann und die dazugehörigen Treiber und Programme als Open-Source veröffentlicht.

„Microsoft billigt die Modifikation seiner Produkte nicht“ sagte mit Hinblick darauf ein Microsoft-Sprecher gegenüber cnet 🇬🇧 und erklärte, dass Microsoft unter anderem mit Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten werde, um Kinect vor Manipulationen zu schützen. Als Antwort darauf verdoppelte 🇬🇧 Adafruit das Preisgeld zuerst und legte später nochmals 1000 USD drauf, sodass zuletzt insgesamt 3000 USD ausgeschrieben waren. Dazu kam eine Spende von 2000 USD an die Electronic Frontier Foundation, da sie für die „digitalen Rechte“ der Anwender eintrete.

Am 4. November war der Verkaufsstart für Kinect. Bereits sechs Tage später, am 10. November, stellte Hector Martin ein Video ins Netz, das die Funktion von Kinects Tiefensensor und Kamera unter Linux demonstrierte und ließ den zugehörigen Quellcode 🇬🇧 bald folgen. Die von den beiden Kameras erfassten Daten konnte er ohne Veränderungen an der Steuerung selbst abgreifen, indem er sie mittels eines selbst geschriebenen Treibers per USB ausliest.

Martin wurde daraufhin von Adafruit zum Gewinner gekürt 🇬🇧 . Zwischenzeitlich bekundete 🇬🇧 Microsoft seine Ansicht, dass der Open-Source-Treiber keinen Eingriff in die Xbox 360 oder Kinect darstellt. Sie weisen lediglich darauf hin, dass die Nutzung der Open-Source-Treiber nicht unterstützt wird.

Damit ist die Geschichte um Kinect jedoch nicht beendet. Schon kurz nach Abschluss des Adafruit-Kontests lobte der bei Google angestellte Entwickler Matt Cutts ein neues Preisgeld aus 🇬🇧 . 1000 USD winken dem Entwickler oder Team für die Entwicklung der coolsten Anwendung unter Nutzung des Open-Source-Kinect-Treibers. Den gleichen Betrag schreibt er für denjenigen aus, der die Entwicklung von Anwendungen für Kinect am einfachsten macht. Cutts liefert auch gleich ein paar Ideen, zum Beispiel eine Benutzerschnittstelle (User Interface) nach dem Beispiel des Films Minority Report, wofür auch bereits ein Video auf Youtube aufgetaucht ist. Beteiligen kann man sich bis zum 31. Dezember diesen Jahres.

Auch weitere Anwendungen werden derzeit entwickelt. Die Verwendung des Controllers in Verbindung mit einem Roboter zum Beispiel, der damit seine Umgebung nun auch in der Tiefe erfassen kann. Per Hand im dreidimensionalen Raum zu zeichnen erscheint da eher als Spielerei, ebenso die Verwendung zur Interaktion mit virtuellen Objekten – Stichwort Augmented Reality. Letzteres könnte jedoch auch bald zur sinnvollen Anwendung werden, z.B. als Hilfsmittel zur Diagnose in der Medizin. Eine Sammlung von verschiedenen Möglichkeiten, Kinect zu anderen Dingen als der originären Aufgabe als Spielecontroller zu verwenden, zeigt KinectHacks 🇬🇧 in einigen Videos.

Mittlerweile hat Microsoft nach eigenen Angaben 🇬🇧 eine Million der Geräte verkauft, zu einem Preis von 149 EUR in Europa bzw. 150 USD in Nordamerika. Microsoft erwartet, bis Jahresende weitere vier Millionen absetzen zu können. Den reinen Materialwert des Controllers beziffert Techinsights 🇬🇧 auf rund 41 EUR.

Was die Open-Source-Szene noch in Verbindung mit Kinect hervorbringt, steht in den Sternen und wird wohl in erster Linie durch die Fantasie der Entwickler getrieben. Die Verfügbarkeit eines Open-Source-Treibers war ein Dammbruch, der einfallsreichen Programmierern eine Schnittstelle zu einem neuen 3D-Eingabegerät verschaffte und es ihnen nun ermöglicht neue Ideen umzusetzen oder alte Konzepte zu überarbeiten.

Veröffentlicht von mfm | 19. November 2010 12:00 | Kategorie: Linux und Open Source | # Fehler im Artikel melden

DonKrawallo

Avatar von DonKrawallo
1 19. November 2010 17:40

Sehr schöner und vor allem interessanter Artikel. Danke schön für die Mühe.

Gruß
DonKrawallo

EnTeQuAk

Avatar von EnTeQuAk
2 19. November 2010 17:43

Ich glaube da muss man sich doch echt mal mit beschäftigen. KinectHacks abboniert und die Box bestellt, mal gucken was man damit für schöne scheiße anstellen kann.

mfm

Avatar von mfm
3 19. November 2010 17:49

Aber vernachlässige mir Inyoka nicht. Auf der anderen Seite, Inyoka mit Kinect-Support...

dinex9r

4 19. November 2010 18:07

Ich hab von Kinect für Games nie was gehalten, fand den Gedanken die Oberfläche seines OS damit zu bedienen aber immer spannend - somit ist Kinect jetzt doch für mich spannend geworden ☺

ThomasMas44

Avatar von ThomasMas44
5 19. November 2010 18:09

Ja, sehr guter Artikel!

Ich gebe Nachhilfe in Lineare Algebra und Vektorgeometrie, und ich breche mir immer einen ab diese Zusammenhänge zu veranschaulichen. Eine Ebene ist da ein Buch, die Richtungsvektoren stifte, usw. Alles irgendwie halten, einklemmen und zeigen sorgt für unglaubliche verrenkungen. Genauso, wie es mein Mathe Lehrer im Mathe LK vor 10 Jahren getan hat,... mit Zeigestock und und und....

angenommen ich könnte mit dem Zeigefinger eine Gerade in den Raum zeichnen, die dann auf den bildschirm erscheint, eine Ebene andeuten,,... diese Dinge vielleicht dann drehen... mit meinen Gesten...usw. mir kommt eine Gänsehaut, wenn ich an die Verbildlichung mathematischer Probleme denke, die möglich werden!

Architekten benötigten keine verschiedenen Bauzeichnungen mehr, sondern könnten im "Raum" das objekt drehen, vergrößern, ändern... zeichnen...

wenn die open source Communitiy und die Entwickler eine Killer Aplication schreiben, die es im closed source bereich nicht so schnell gibt, dann...könnte das ein Riesenschritt zur Akzeptanz und Verbreiterung von Open source werden... diese paar tausend dollar sind doch nix dagegen... diese Sache könnte ein Riesending werden!

phiphi

Avatar von phiphi
6 19. November 2010 18:38

Videos:

Erster Treiber (3h nach Release): http://www.youtube.com/watch?v=rKhW-cvpkks

3D-Video: http://www.youtube.com/watch?v=7QrnwoO1-8A

3D-Objekte messen http://www.youtube.com/watch?v=f1ieKe_ts0k

Virtuelles Objekt in Realem Raum http://www.youtube.com/watch?v=N9dyEyub0CE

Erste Skelett-Bewegungsübertragung: http://vimeo.com/16985224

Arlzheim

7 20. November 2010 10:18

eine interessante Frage für Microsoft wird jetzt sein, ob sie nur halb so viele von den Dingern so schnell hätten absetzen können, wenn das alles nicht passiert wäre ^^

Das_Wort

8 20. November 2010 13:10

Ich freu mich total und warte schon, als Nachfolger vom Headtracking Plugin, auf die Möglichkeit die Kinect für Compiz und den Desktop zu nutzen.

Und ich glaube wenn die HW der Kinect so gut ist wie vermutet und auch so genau dann kann ich es mir wirklich gut vorstellen das Architekten etc. das nutzen, man denke nur an diese Millionen € teuren Räume der Mobilindustrie in denen man das Gesamtkonzept vom Innenraum testen kann...

unbekannt1984

9 20. November 2010 22:33

@2,@3: Wenn die Server von Ubuntuusers.de mit Kinect beschäftigt sind, dann läuft Inyoka nicht mehr (bzw. nur noch auf Sparflamme)...

@4: Das sind die Leute, die damals auch keine Maus am Rechner wollten. Warte mal 10 Jahre ab und beschaue dir den Stand, den wir dann haben werden.

@5: Schonmal was vom 3-Ansichten zeichnen gehört?

@7: Tja, dann hätten die die Kunden beim Einkauf fragen müssen, ob das Gerät wie (von M$) vorgesehen verwendet werden soll. So tappen da Alle etwas im dunklen.

Torsten

Videl

10 21. November 2010 18:08

Wuhu Martin Rules, Iphone, Wii, DSi und jetzt Kinect Haxes, that guy's just too good 😛 hab seinem youtube channel schon ne weile abonniert, ist wirklich interessant was da so alles aufkommt von ihm 😀

bliet

Avatar von bliet
11 23. November 2010 17:58

Das wäre natürlich lustig, wenn man irgendwann nicht nur den Desktop auf ein Würfel darstellen kann, sondern selbigen wirklich würfeln könnte 😀 Aber auch für Sinnvolle Dinge könnte eine solche Steuerung gut sein. Tausend mal besser als Touchscreen. Allerdings müssten die Anwendung dafür auch angepasst werden.

Geissbock

Avatar von Geissbock
12 26. November 2010 07:57

Wie präzise ist die Erkennung der Bewegungen bei kinect eigentlich? Bei der PS3 Steuerung soll es ja sehr präzise sein da durch die farbigen Kugeln Referenzpunkte vorhanden sind.

Ich kann mir im Moment nur schlecht vorstellen, das kinect genau so präzise ist. Vorteil ist natürlich, dass man keinerlei Hilfsmittel in der Hand halten muss.

xuedi

Avatar von xuedi
13 27. November 2010 17:09

Ich mache viel hardware hacking und fand die sachen von adafruit immer klasse, also alle blueprint opensource usw. Aber der gedanke M$ 149-41 = 108 Euro in den rachen zu schmeissen ist nicht so der hit, warum nicht 10.000 Euro preisgeld für ein opensource blueprint für eine openstandart documentierte nachbau version ... da würd ich auch 200€ für ausgeben ...